Unhöflichkeit im Alltag

Sehr geehrte Höflichkeit,

mit Verwunderung habe ich Ihre Abwesenheit an Orten feststellen müssen, an denen Sie vor gar nicht allzu langer Zeit eigentlich schon noch anzutreffen waren! Wenn man die Umkleidekabine eines Sport-Clubs betrat zum Beispiel oder auch im Wartezimmer. Ich erwarte ja keine Laola-Welle, aber wenigstens eine einigermaßen hörbare Grußformel jedweder Art wäre schon manchmal schön. Zumindest dann, wenn man als jemand den Raum betretender dies eben tut – als Reaktion.

Auch bei einigen E-Mails dürfen Sie, verehrte Höflichkeit, mal die Finger in die Wunde legen: Da wird geduzt, grußlos eine Information in die Tasten gehauen oder auch mal überhaupt nicht geantwortet. Das ist zwar auch eine Möglichkeit, keinen Text zu verfassen, der am Ende falsch verstanden werden könnte – aber ist doch keine Lösung. Ein kurzes Wort war früher jedenfalls immer ganz schön.

In Zeiten von Corona kommt auch wieder das Thema Abstand in den Blickpunkt. Ich halte Abstand halten im Gegensatz zu anderen nicht nur aus gesundheitlichen Aspekten für gegeben, es ist auch ein Zeichen des Respekts. Jeder Mensch hat nämlich eine Wohlfühldistanz und diese sollte nicht unterschritten werden. Natürlich wird die Bevölkerung im Zuge der Corona-Maßnahmen etwas „ruppiger“, weil es ständig unter der Maske etwas zu grummeln gibt – aber das fördert vielleicht auch nur den wahren Charakter zu Tage. Ist jemand ausgeglichen und ruht innerlich, dann bringt die Person auch nicht aus der Bahn, wenn man sich mal ein wenig anders verhalten muss zum Wohle älterer Menschen zum Beispiel.

Unhöflichkeit im Alltag?
1,50 Meter Abstand halten zueinander und sich nicht die Hand geben zur Begrüßung wird im Kampf gegen Corona empfohlen

Im Fernsehen wird sich ohne Skrupel hinter den Reporter vor Ort gestellt, Grimassen gezogen oder blöd in die Kamera gewunken. Hauptsache, das eigene Ego wird bedient und ob das gerade stört oder völlig unpassend ist, scheint keine Rolle mehr zu spielen. Apropos Spielen: Auch nach Fußballspielen gilt es schon als Hip, eine Frau oder einen Mann mitten rein in die betrunkenen und grölenden Menschen zu schicken. Mehrwert für den Zuschauer null, zu verstehen ist auch nichts. Hauptsache man animiert fremde Menschen zum Fremdschämen. Höflichkeit? Ist schon weg.

Siehe auch
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Auch beim Telefonverhalten bleiben Sie, verdammte Höflichkeit, allzu oft in einem nicht hörbaren Bereich. Eher hörbar ist das, was der Mensch neben mir in der U-Bahn mit seinem oder seiner Lebenspartnerin zu bereden hat und sich vielleicht im Nachhinein über die ach so fehlende Privatsphäre im Internet beschwert. Ich will jedenfalls nichts wissen von fremden Problemen, die mich auch nichts angehen.

Und auch die Musik will ich nicht hören, weder im Bus über Handy-Lautsprecher noch über den Hausflur aus der anderen Wohnung. Warum alles in der Welt meint, laut sein zu müssen, erschließt sich mir nicht und könnte unter Umständen mit mangelnder Aufmerksamkeit in früheren Zeiten zusammenhängen? Ich weiß es nicht. Ich merke nur, dass Höflichkeit, Respekt und Anstand immer weiter auf dem Rückzug sind und rein plakatives Eintreten für oben genannte Eigenschaften verpuffen oft im Nichts. Vielleicht sind es falsche Vorbilder oder ein anderes Weltbild, welches andere dazu veranlasst, so zu sein, wie sie sind.

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